Shen....ein vergessenes Element im
westlichen Taiji?
Es ist bekannt, das Taiji
buddhistisch, daoistisch und militärisch beeinflusst ist. Auch ist allen
bekannt, das es auch um die Pflege des Qi geht. So
kennen wir die drei Arten des Qi,das erworbene, das
ererbte Qi und das Qi von Aussen (Nahrung, Luft usw) .
Viele bevorzugen die medizinisch,
therapeutische Wirkung von Taiji und wieder andere wollen kämpfen und das Qi
„stark machen“. Der Aspekt des Shen wird dabei oft völlig ausgelassen, an den
Rand gedrängt. Die Lehre über das Wu Qi, Taiji, Liang Yi, Si Xiang und Bagua
hat wenig Platz für viele, die auf der Suche nach besseren und höheren
Techniken sind. Kann es da nicht geschehen, das mit „unbeschäftigtem Shen“
Pseudolehren entstehen, die auf Grund der oft technisch versierten
Taijiausführungen Halt bei Ausführenden und ahnungslosen Sympathisanten finden?
Wie weit entzieht sich das Taiji im Westen dem Sinn. Sind so nicht schon viele
sehr fragwürdige Meister entstanden, die zwar gute Techniken beherrschen, aber
dabei den Sinn des Taiji entstellen? Das Ausführende Organ ist für den
Taijinisten der Körper und Shen soll der Chef sein. Ähnlich dem
Kalligraphiemeister, dem der Pinsel, das Werkzeug ist und der Geist den Pinsel
führt.
Shen im Taiji wird als das Sanfte,
Nachgiebige, Absichtslose interpretiert welches es zu pflegen gilt um im
Einklang mit dem Natürlichen das Gleichgewicht nicht aus der Ordnung zu
bringen. Der Praktizierende ist dann nicht nur Körper und Kopf, sondern kann zu
Leib, zu Geist werden, wenn wir davon ausgehen das Körper das Materielle und
Leib das Geistige und materielle beschreibt. So wird Leib Teil des Gesamten. So
ist nicht das Denken mit Shen gemeint, sondern geistige Bewegung der
Absichtslosigkeit.
So heißt es
in dem „Lehrgespräch über die Grundzüge des Bewusstsein“
(Urtexte
des Buddhismus):
„Da verharrt ein Mensch über den Körper
wachend, eifrig, einsichtig, aufmerksam, nach Aufgabe von Gier und Unmut in der
Welt; bei den Gefühlen über die Gefühle wachend, eifrig, einsichtig, aufmerksam
nach Aufgabe von Gier und Unmut in der Welt; beim Gemüt über das Gemüt wachend,
eifrig, aufrichtig, aufmerksam, nach Aufgabe von Gier und Unmut in der Welt;
bei den Gegebenheiten über die Gegebenheiten wachend, eifrig, einsichtig,
aufmerksam nach Aufgabe von Gier und Unmut in der Welt.“
Shen ist betrachtendes
Bewusstsein, welches die Vorgänge im Inneren und Äusseren nimmt wie sie
sind, als Erscheinungen. Wenn ein Mensch alles betrachtet, ohne etwas zu
fixieren, löst er auch keine Benennungen hervor.
Das Wu Qi
ist erst dann erreicht, wenn alle Vorgänge nur noch reine Betrachtung ohne
Bewertung sind. Erst dann kann Taiji ausgelöst werden. Wenn der Körper still
steht und der Geist beschäftigt ist, und trotzdem die erste Bewegung vollzogen
wird, ist das kein Taiji.
Das Qi
alleine weiß wo es gebraucht wird und hat seinen Sitz im Dantien.
Wieso
sollte eigentlich das Immaterielle so viel Bedeutung beigemessen bekommen, wo
wir doch in einer materiellen Welt leben?
Natürlich kann
auf den ersten Blick unsere Welt rein materiell scheinen lassen.
Wir haben
die Erde so umgestaltet wie wir sie heute vorfinden. Geist wird nicht aufhören
zu existieren, nur weil vielleicht mal der menschliche Geist nicht mehr
existiert. Da muss etwas sein, was den Baum in den Samen bringt, etwas was
unsere Welt gestaltet.
So sagt
Erwin Schrödinger (Physiker):
„Das allmählich Unbewußtwerden hat für die ganze Struktur
unseres Geisteslebens eine ungeheure Bedeutung. Dieses basiert ganz und gar auf
der Einübung von Wiederholungen. Erstmalige Erfahrung, die sich nicht
wiederholt, ist biologisch bedeutungslos. Nur die Erlernung eines zweckmäßigen
Funktionierens angesichts einer Situation, die sich immer wieder, meistens
periodisch darbietet und jeweils die gleiche Reaktion des Organismus zu seiner
Behauptung nötig macht, hat biologischen Wert.“
Das ganze
Leben ist voll mit Beispielen dieser Art. In unserem Menschsein haben wir über
Generationen Evolutionäre Veränderungen an uns vorgenommen und haben uns bis zum
„Jetztzeitmensch“ entwickelt. Heute als scheinbares Individuum, gestalten wir
an uns weiter, mit allem unseren primitiven Willen und allen eingepflanzten
Trieben.
Wer hat an
seiner Form (Siehe Form im Taiji) seiner selbst, nicht immer wieder etwas abzuändern
und durch Neues zu ersetzen? Der Widerstand des primitiven Willens ist der
psychische Gegenspieler gegen den Veränderung wollenden Gestalter. Wir sind
Form und Geist, Überwinder und Überwundene zugleich.
So gibt es
die Metapher vom inneren Schweinehund, die jeder kennt. Dieser innere Zwiespalt
scheint unzertrennlich mit dem Bewusstsein verbunden.
Die
weisesten Schriften entstanden durch Menschen genau mit dieser inneren
Zerrissenheit. Nur durch Selbstüberwindung entstehen neue Evolutionsschritte im
Individuum. Stagnationen sind da nur Erscheinungen in der Formentwicklung.
Daoistisch
gesehen ist Shen Protagonist von Qi und Jing (Lebenskraft) Shen beschreibt auch
die Stufe hoher Meisterschaft. Jing ist die Quelle des Lebens, die Kraft, die
sich von Innen nach Außen entfalten kann, Qi bildet die Energie diese Kraft zu
bewegen und Shen ist jene Vitalität, des Bewusstseins, der Denkfähigkeit und
auch der Fähigkeit zu Unterscheidung und Auswahl. Shen beinhaltet auch ererbten
Teil des „frühen Himmels“ (vorgeburtlich), der sich nach der Geburt auch weiter
entwickelt. Körper und Geist erfährt in der chinesischen Kultur keine Trennung.
Shen hat seinen Sitz im Kopf. Gesundes Shen zeichnet sich durch Ideenreichtum
und den Wunsch zu lernen aus. Disharmonien des Shen sind unangebrachte
Reaktionen auf die Umwelt.
Shen , Qi
und Jing werden auch als „die drei inneren Schätze“ bezeichnet (chin: Sanbao).
Sanbao wiederum bezeichnet die wesentlichen Grundzüge des Daoismus die da
wären: Liebe, Genügsamkeit, Verzicht auf Ruhm.
Ohren,
Augen und Mund als die äußeren Schätze gilt es genauso zu bewahren wie die drei
inneren Schätze.
Shen sollte
durch Meditation, Pflege der Kunst, unerschütterliches Harmoniestreben,
Betrachtung der Natur gefördert werden, emotionale Gelassenheit mildert
Rivalitäten und Aufregungen, Wünsche nach kriegerischen Aktivitäten und
Siegeswünsche werden so verkleinert.
Das Qi
braucht die richtige Ernährung, gute Luft, geregelten Schlaf und entsprechend
qifördernde Übungen. Störungen von Shen, falscher Atem und schlechte Haltung
vermindern das Qi.
Jing die
Lebensessenz braucht für den Mann besondere Übungen (Fangzhongshu), weil Jing
beim Geschlechtsakt mit dem Samen verloren geht.
Für Frauen
gilt dieses nicht.
Nun hoffe ich
ein paar Anregungen habe geben können, warum die Pflege des Shen für uns
Taijinisten wichtig sein könnte, als vielleicht angenommen.
Jedoch
möchte ich betonen, das jeder Mensch andere
Schwerpunkte haben kann und andere Schlüsse ziehen kann. Nur hoffe ich doch
eine kleine Anregung „pro Shenpflege“ gegeben zu haben.